KAMPAGNEN

Nackt, wie

Nackt, wie der heilige Franziskus von Assisi, der die Kleidung und Reichtümer des Teufels ablegte, genau wie die Geschöpfe in seinem Sonnengesang: „Gelobt seist du, mein Herr… für unsere Schwester Mutter Erde“, und für diese neuen Geschöpfe der Stadt der Zukunft, die noch nicht einmal Giotto vorhersehen und malen konnte. Keine Geschöpfe der Stadt der Schmerzerkorenen mehr, der Stadt von Maschinen, Beton, Stahl und Staub. Hier sind neun Menschen, jeder einzigartig und doch alle gleich, sie sind Teil einer Menschheit, die bald die alte Welt mit ihrem sengenden Geruch von zersetzender Materie und abgetragenen Kleidern hinter sich lassen wird. Pupillen voller Licht, die wie in einem Regenbogen leuchten, und viele Hautfarben, die sich vermischen, unsere neun Kinder sind Bruder Sonne und Schwester Mond, endlich umarmt und miteinander verschmolzen: Junge Geschöpfe aus fruchtbarem Fels, aus weichem Stein, dem man endlich vertrauen kann. Dank ihnen werden die Farben wieder unschuldig sein: Es wird keine schwarze Hexe mehr geben, die Schneewittchen den vergifteten roten Apfel schenkt. Kein Rassenkrieg mehr, sondern das ethnische Wunder mit dem Reichtum seiner versöhnten Erinnerungen. Womöglich stammt hier die dunkle Haut auch von den Beduinen des Berg Sinai, und Spuren von Asien erkennen wir sogar in den Augenbrauen; vermutlich steckt in diesen hellblauen Augen die Kälte der Schweiz und das Schwarzblau lässt die Hitze Griechenlands, der Mutter Europas, erahnen. Und vielleicht sehen wir in der dunklen und schmalen Nase das somalische Äthiopien; die seidigen Haare erinnern an das Imperium und der unbezwingbare Lockenkopf an afrikanische Stämme, ein Hauch des duftenden Italiens zeigt sich in den langen Wimpern. Sogar der kubanische Rhythmus ist im Bild zu spüren, zwar bewegt sich das Bild selbst nicht, doch die Geschöpfe scheinen sich im Lobgesang der Aufeinanderfolge zu bewegen: Verlagerungen, Berührungen, ein gegenseitiges Festhalten, ein Aufleuchten von Afrika und China und von Gelb und Rot aus der kreativen Malerei. Es ist das Foto der Metamorphosen, die typisch sind für die Weltreiche, für das Rom des Augustus wie für das Amerika der Präsidenten, für die Globalität, wo eins ins andere übergeht und sich ins Gegenteil verkehrt. Auf diesem Bild sehen wir Michael Jackson, der seine schwarze Haut bleichte, ebenso wie die Veränderungen durch die Lumumbas, Senghors und Frantz Fanons, die das Weiße schwärzten, aber auch die Lenins und Lin Biaos. Die Revolution wird zur Verschmelzung, denn sie nimmt dem Orient und dem Okzident die klar definierte Identität, sie verschmilzt miteinander und bringt so etwas Neues hervor. Da ist der Pfau des Zoroastrismus, der das Kreuz der römischen Kirche in sich aufnimmt, der Ramadan, der zu einem Osterbankett wird, Kamelmilch, die sich in Traubensaft verwandelt, die durchscheinende Burka, die den Körper der Venus bedeckt. Und da ist Fatima, die Tochter von Mohammed, die die Züge von Maria, der Mutter Christi, annimmt. Gegen Bürgerkriege, Mafia, städtische Gewalt durch Identitätskonflikte, gegen grausame ethnische Auseinandersetzungen, Religionskriege und Kampf der Kulturen, gegen den Terrorismus und gegen jeden wiederauflebenden Rassismus gibt es die freudige Verschmelzung als wertvolle Bereicherung, der Sonnengesang, dieses Loblied der Geschöpfe, das uns dem Himmel ein Stück näherbringt und die Welt unterwirft.